Wirklich alles aus dem Flügel herausgeholt
Daniel Höhr nahm Konzertbesucher im evangelischen Gemeindesaal mit in eine musikalische Ausstellung
Carolin Hasselbach, Kölnische Rundschau, 3.11.2022
Bad Münstereifel – Daniel Höhr ist Stammgast in der evangelischen Kirche in Bad Münstereifel. Obwohl der Bechstein-Flügel im Gemeindesaal nicht mehr der Jüngste ist, greift der Pianist immer wieder gerne in dessen Tasten und genießt das Konzertieren im kleineren Rahmen nahe am Publikum. Auch diesmal wartete er mit einem hochkarätigen Programm auf.
Pfarrer Frank Raschke freute sich als Hausherr, dem Publikum den Klaviervirtuosen aus Sankt Augustin ankündigen zu dürfen. Mit Werken von Ludwig van Beethoven, Gustav Mahler und Modest Mussorgsky brachte Höhr das Instrument aus dem Jahr 1937 an seine Grenzen. Er spielte kraftvoll und mit sehr stringenten Abläufen.
Sanfte, verträumte Passagen
Intensiv erklang gleich zu Anfang der prägnante Eingangsakkord, der Beethovens Klaviersonate Nr. 8 c-Moll op.13 (Grande Sonate Pathetique) einleitete. Aus ihm entwickelten sich sanfte, verträumte Passagen kontrastierend mit voluminösen. Mit einer sagenhaften Motorik ließ Daniel Höhr das „Allegro di molto e con brio“ lostoben. Überaus wendig sprang seine rechte Hand immer wieder über die linke hinüber und breitete die Melodie damit großflächig aus. Eine ungeheure Fülle entstand, die der Pianist immer wieder mit zurückhaltenden Teilen durchbrach. Dynamisch gab es in beide Richtungen keine Grenzen, Höhr holte wirklich alles aus dem Flügel heraus.
Auf die brachialen Schlussakkorde des ersten Satzes folgte das gesangliche Adagio cantabile, das bei aller Innigkeit auch ein gewisses Pathos besaß. Mit einem lebhaften und abwechslungsreichen Rondo endetet die Sonate.
Bekannt als Filmmelodie
Das Adagietto aus der Sinfonie Nr. 5 von Gustav Mahler ist manchem bekannt als Titelmusik von „Der Tod in Venedig“. 1971 verfilmte Luchino Visconti die Novelle von Thomas Mann. Die Sinfonie war für ein großes Orchester konzipiert, doch um 1900 konnte längst nicht jeder ins Konzert gehen. Wer die Musik dennoch hören wollte, musste sie selber spielen, zum Beispiel auf dem heimischen Klavier.
Der deutsche Komponist Otto Singer arrangierte für diesen Zweck eine Vielzahl von Orchesterwerken für das Tasteninstrument, unter anderem Mahlers Adagietto, mit dem Höhr in Bad Münstereifel sein Publikum ins Träumen versetzte. Hier durfte in Romantik geschwelgt werden. Große Arpeggien, freundliche, warme Harmonien und eine blumige Ausarbeitung gingen den Zuhörern ans Herz.
Das Publikum mit in eine Ausstellung genommen
Nach der Pause nahm Höhr die Konzertbesucher mit in eine musikalische Ausstellung. Modest Mussorgsky schrieb 1874 den Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“, zu Ehren seines Freundes Wiktor Hartmann. Ein Jahr zuvor war der russische Maler und Bildhauer gestorben.
Einige seiner Bilder hat der Komponist musikalisch dargestellt. „Es ist nur in zweiter Linie eine Darstellung der Bilder, in erster Linie ein Nachruf auf den verstorbenen Freund“, erklärte Höhr. Das Werk ende mit einer Apotheose. Doch bis dahin gab es in der Ausstellung viel Spannendes zu betrachten.
Spielende Kinder und schnatternde Marktweiber
Ein finsteres altes Schloss, einen polnischen Wagen mit plumpen Rädern, der von einem Ochsen mühsam gezogen wird, spielende Kinder im Garten und munter schnatternde Marktweiber hinterließen beim Betrachter Eindrücke, die in den dazwischen gesetzten Promenaden noch nachklangen und das berühmte Thema immer wieder neu erscheinen ließen. Höhr interpretierte das erhabene Stück mit Herzblut, Pathos, Ausdruck und Kraft.
Sichtlich ermattet, erhob er sich danach vom Sitz und brauchte einen Moment, bis er wieder ganz präsent war. Der Applaus wollte nicht enden, und so spielte er als Zugabe das Intermezzo op. 117 Nr. 1 von Johannes Brahms, eines der Lieblingsstücke von Pfarrer Frank Raschke.
Zugunsten der Seenotrettung
Pianist spielt in Sankt Augustin 16-Stunden-Konzert
Annette Schroeder, Kölner Stadt-Anzeiger, 14.12.2021
Sankt Augustin – Pianist Daniel Höhr gibt einen Konzert-Marathon zugunsten der Seenotrettung: Am Samstag, 11. Dezember, spielt er im Paul-Gerhardt Haus Sankt Augustin von 6 bis 22 Uhr die „Vexations“ von Erik Satie 840-mal hintereinander – wie vom Komponisten vorgesehen. Mit dem Pianisten (48) aus Sankt Augustin sprach Annette Schroeder.
Wie sind Sie auf die Idee zu dem Marathon gekommen?
Daniel Höhr: Inspiriert hat mich der Pianist Igor Levit, der das Stück im Mai 2020 aufgeführt hat, um Geld für Künstler zu sammeln, die unter der Corona-Pandemie leiden. Das hat mich auf die Idee eines Spendenlaufs gebracht. Pfarrer David Bongartz von der evangelischen Kirchengemeinde Niederpleis und Mülldorf war sofort begeistert. Ich will auch verdeutlichen, dass es ein Luxus ist, in einem warmen Raum 16 Stunden zu spielen, im Vergleich zu den Stunden und Tagen, die Menschen in Seenot im Mittelmeer verbringen.
Das Stück heißt „Vexations“, also übersetzt Quälereien. Ist der Name Programm?
Das bleibt ein Rätsel; vom Komponisten findet sich kein Hinweis. Vielleicht ist es die Atonalität, vielleicht ist die schiere Länge gemeint, die sich durch die Wiederholungen ergibt.
Wie bereiten Sie sich darauf vor, 16 Stunden zu spielen?
Ich habe eine Zeit lang die „Vexations“ eine halbe Stunde täglich gespielt, um das Stück wie selbstverständlich in die Hände zu bekommen. Es passt auf ein Notenblatt und ist technisch nicht schwer. Ich werde einen bequemen Stuhl und Kissen mitbringen. Aber man kann ja zwischendurch auch aufstehen und im Stehen spielen. Vor allem am Tag vor der Aufführung versuche ich dann, Saties Anweisung umzusetzen, sich „in größter Stille“ und mit „ernster Regungslosigkeit“ vorzubereiten.
Profitieren Sie von der Erfahrung anderer Musiker?
Ich habe mir die Zählmethode von Igor Levit abgeguckt, 840 Notenblätter zu benutzen und nach jeder Wiederholung ein Blatt auf den Boden fallen zu lassen. Das sieht auch schön aus. Ich werde mich an Levits Tempo orientieren und etwa eine Minute und zehn Sekunden für jeden Durchgang einkalkulieren – einfach weil ich das Stück auch so fühle.
Wie viele Pausen haben Sie eingeplant?
Ich will so lange und so nahtlos wie möglich spielen, werde aber sicher einige Pausen machen müssen. Die will ich aber so kurz wie möglich halten und dabei mit niemandem sprechen. Zu essen und zu trinken bringe ich mir ein paar Kleinigkeiten mit, die ich am Flügel platziere.
Wie, glauben Sie, wird sich Ihre Beziehung zum Stück verändern? Rechnen Sie mit Widerstand, mit Erschöpfung, oder damit, dass Ihnen die Komposition ans Herz wächst wie ein Familienmitglied?
Sicher wird es Phasen der Erschöpfung und des Widerwillens geben, aber auch der Ruhe und Ausgeglichenheit. Ich stelle mir vor, es wird so sein, als ob ich den Tag über mit einem Fremden einen intensiven Austausch pflegen werde und wir am Ende miteinander vertraut sind. Vielleicht lieben wir uns, vielleicht hassen wir uns. Konfliktfrei wird das nicht werden – aber sehr, sehr spannend.
Taucht man durch diese vielen Wiederholungen in einen tranceähnlichen oder meditativen Zustand ein?
Davon gehe ich aus. Es ist ja ein Mantra, das ständig wiederholt wird, wenn auch sicher nie gleich. Der Notentext hat außer „très lent“ („sehr langsam“) keinerlei Anweisungen. Das heißt, was Phrasierung, Dynamik und Ausdruck angeht, gibt es viel Raum zur Entfaltung.
Aber ja, ich erwarte eine gewisse spirituelle Erfahrung. Die Aufführung ist in einer Kirche, und so wird es auch für mich ein Gebet sein. Vor vielen Jahren habe ich einen Kurs in Zen-Meditation mitgemacht, allerdings bin ich da nicht weit gekommen. Ich bin eigentlich jemand, der nie so richtig zur Ruhe kommt. Vielleicht helfen mir die „Vexations“ – ein Stück Eigentherapie also.
Wie viel Zeit sollte sich das Publikum für dieses ungewöhnliche Musikerlebnis nehmen?
Die Aufführung wird eher eine Art von Performancekunst als ein Konzert sein. Die Verweildauer ist natürlich ganz individuell. Es gibt Berichte, dass diejenigen, die alle 840 Wiederholungen aushalten, über eine ähnliche Abfolge von Reaktionsphasen berichten: zuerst Faszination, die in Erregung übergeht, dann in eine allumfassende Agonie und schließlich in einen Zustand tiefer Ruhe.
Quälerei am Piano
Augustiner Pianist spielt ein Stück von Satie - 840 Mal
Thomas Heinemann, General-Anzeiger, 24.11.2021
Sankt Augustin. Der Pianist Daniel Höhr spielt Eric Satie „Vexations“ 840-mal in Folge. Für ihn soll es eine Grenzerfahrung sein und gleichzeitig eine Benefizveranstaltung für die Seenotrettung im Mittelmeer.
Wenn Daniel Höhr am 11. Dezember morgens um 6 Uhr am Flügel im Paul-Gerhard-Haus in die Tasten greift, wird das für ihn „eine musikalische Grenzerfahrung“. Für den guten Zweck spielt der Sankt Augustiner Pianist die „Vexations“, übersetzt: die „Quälereien“, des französischen Komponisten Eric Satie. Und das 840 Mal hintereinander. „Das ist eine Anweisung des Komponisten“, erklärt Daniel Höhr. „Und bis heute ist nicht klar, ob Satie sich damit einen musikalischen Scherz erlaubt hat.“
Denn Satie, sagt Höhr, habe viele kuriose Sachen betrieben und das in den 1890er Jahren entstandene Werk mit einer Bemerkung versehen: „Um dieses Motiv 840 Mal zu spielen, wird es gut sein, sich darauf vorzubereiten, und zwar in größter Stille, mit ernster Regungslosigkeit.“ Genau das wird Höhr tun, sich vorbereiten und auch einen Tisch mit Speisen und Getränken neben den Flügel stellen. Denn die Vexations verlangen Durchhaltevermögen: „Ich gehe davon aus, das Stück in etwa 16 Stunden spielen zu können. Satie hat Tempoanweisungen gegeben. Je nach Interpretation können daraus auch schnell 24 Stunden werden.“
Igor Levit hat es auch getan
Vorgemacht hat das der Starpianist Igor Levit im Mai 2020. Mit den Vexations hatte Levit auf die in der Pandemie notleidenden freischaffenden Künstler aufmerksam gemacht und nach jedem Durchlauf eines der 840 Notenblätter zur Seite geworfen. Bei der anschließenden Versteigerung der 840 handsignierten Notenblätter kamen innerhalb von nur zwölf Stunden 84.000 Euro für den Verein FREO Freie Ensembles und Orchester in Deutschland sowie den Nothilfefonds der Deutschen Orchesterstiftung zusammen. „Eine tolle Aktion“, sagt Höhr. „Leider hatte ich kein Blatt mehr ergattern können und damals im Scherz gesagt, dann mache ich das halt selber.“
Und wie das mit Scherzen so ist, so kam eins zum anderen. Pfarrer David Bongartz von der Evangelischen Kirchengemeinde Niederpleis und Mülldorf war von der Idee begeistert und stellte das Paul-Gerhard-Haus gern zur Verfügung. Denn Höhr spielt die 840 „Quälereien“ ebenfalls für den guten Zweck und zugunsten des Bündnisses „United4Rescue – Gemeinsam Retten“. Darin haben sich 800 Hilfsorganisationen, Vereine, Institutionen und Sozialverbände für die zivile Seenotrettung zusammengeschlossen, erklärt der Pianist: „Es war mein Wunsch, irgendetwas im Rahmen meiner Möglichkeiten zu tun, damit der Seenotrettung geholfen wird. Wir hören fast jeden Tag die schrecklichen Nachrichten von der Rettung der Menschen auf dem Mittelmeer und den Schiffen, die verzweifelt einen Hafen suchen.“
Sein Wunsch ist, für jeden der 840 Durchläufe eine Spende in Höhe von fünf Euro einzuwerben. Und das, obwohl sich „die Musik noch nicht einmal schön anhört“, sagt Höhr mit einem Augenzwinkern: „Das Stück ist nicht tonal, sondern eher meditativ und fast hypnotisch. Daher sind die Leute eingeladen, zwischen 6 und 22 Uhr vorbeizukommen, mir zuzuhören, vielleicht auch eine Kerze anzuzünden, zur Ruhe zu kommen, zu Meditieren oder zu Beten.“ Vor dem 840. Durchlauf sei zudem eine Schlussandacht oder ein kurzes Abendgebet geplant.
Einfühlsamer Erzähler am Flügel
Der Troisdorfer Pianist Daniel Höhr hat Schumanns "Kinderszenen" eingespielt
Annette Schroeder, Rhein-Sieg-Anzeiger, 25.09.2021
Sankt Augustin. "Kleine putzige Dinger" nannte Robert Schumann eine Reihe von Charakterstücken, die er 1839 komponierte. Von ihnen wählte er 13 für seinen Zyklus "Kinderszenen" aus, der heute zu den beliebtesten der Klavierliteratur zählt. Davon zeugen zahlreiche Einspielungen - von Horowitz über Argerich bis Brendel. Und nun veröffentlicht Daniel Höhr eine weitere Einspielung, ergänzt und bereichert durch Intermezzi von Johannes Brahms (op. 117 und op. 118, 2) .
Überzeugendes Debut
Es ist das erste Studioalbum, das der Pianist aus Sankt Augustin vorlegt - ein ausgefeiltes, überzeugendes Debut. "Songs of Innocence & Experience" hat Höhr sein Album nach einem Gedichtband von William Blake genannt. Der studierte Anglist verdient sein Geld als Sprachlehrer und Übersetzer: "Die Musik ist nicht mein Beruf, aber meine Berufung", sagt der gebürtige Troisdorfer, der sein Publikum in den Konzerten nicht nur mit dem klassischen Standardrepertoire, sondern gern auch mit Entdeckungen wie dem Zyklus "Das Jahr" von Fanny Hensel bekannt macht.
"Die romantische Auffassung von Kindheit war das Ideal der Unschuld, und das Erwachsenenalter war in gewisser Weise ein Abfall davon", reflektiert Höhr, der sich als einfühlsamer Erzähler am Flügel beweist. In einem suggestiven Bogen lässt er die prägnanten Szenen vorbeiziehen, die von einem aufregenden Tag mit Träumerei, Hasche-Mann, Ritter vom Steckenpferd und Fürchtenmachen handeln, bis das Kind einschläft und "Der Dichter spricht": das Resümee des erwachsenen Schumann, der sich an seine Kindheit erinnert.
Bei Höhr in guten Händen sind auch die herbstlichen Farben und der elegische Ton der Brahms-Intermezzi, nicht nur für Clara Schumann ein Quell von "Poesie, Leidenschaft, Schwärmerei, Innigkeit."
Ein Glanzpunkt ist außerdem Schumanns balladeskes, dramatisches Fantasiestück "In der Nacht": "Eines meiner Lieblingsstücke", so bekennt der Interpret, und dieses Herzensanliegen teilt sich mit. Viel Sorgfalt hat der 48-Jährige auch auf die technische Seite des Albums verwendet. Eingespielt hat er es an einem Steinway D in den Bonner Hansahaus-Studios. Toningenieur und künstlerischer Betreuer war der dreifache Grammy-Gewinner Klaus genuit, der für einen natürlichen, warmen Raumklang sorgte.
Daniel Höhr hat für die Aufnahme das Label "serioso" gegründet und für die Liner Notes mit Peter Davidson einen seiner früheren Dozenten in Oxford gewonnen.